Rede vom Müll (10)
»Ist es wirklich so schlimm?« Die Stimme, verhalten, voll essen­tiellen Un­glaubens. Ja, Kind, es ist so schlimm. Aber ich denke an deine böhmische Urgroßmutter, die, dreißigjährig, anno 18/19 an der Grippe verschied, circa zwanzig Millionen Tote euro­paweit, eine neuerdings angezweifelte Zahl, aber eine Größenordnung, die durch Tschernobyl, das fast schon wieder vergessene... Immerhin hatte sie vorher sechs Kinder zur Welt ge­bracht, eine Zahl, eher unter Durchschnitt in ihren Kreisen, dem Verständ­nis mag dienen, dass der Vater bereits fünf Jahre vor ihr das Zeitliche ­segnete, Lungenentzündung, Berufsrisiko, keine Lohnfortzahlung. Alles nicht so schlimm, die Kinder, Manövriermasse, wachsen und gedeihen, die Söhne radikalisieren sich, tragen ihren Teil dazu bei, dass das Land zum Experimentierfeld der Staatsformen wird, mit den bekannten Folgen, aber sie überleben, erreichen ihr biblisches Alter, ge­plagt von Rheuma und Erinnerungen, Nierenstein, Harnstein, Darmver­schluß, Zahnausfall, Systemkollapsen ohne Bedeutung. Beunruhigend bis zum Ende der Tod, nicht wegzukriegen durch die Jahrzehnte, Okkupant, eingenistet ins Gewebe, es imprägnierend mit Unlust und Funktionsscheu, daneben wirken Vertrottelungen idyllisch, jedenfalls harmlos, eine raffinierte Art, vorher die Koffer zu packen.